Brückenmodell des Tragapparates
Das hinsichtlich der Bewegung des menschlichen Körpers bei der Lokomotion wesentliche Geschehen kann man am Achsorgan beobachten.
Es handelt sich um ein Bewegungszusammenspiel zwischen dem Beckengeflecht und dem Brustkorb mit den Schulterblättern.
Die Biomechanik der Lokomotionsmotorik des Bewegungsapparates des Menschen zeigt offensichtliche Ähnlichkeiten mit der Brückenarchitektur. Für die Fortbewegung des Körpers auf vier oder auf zwei Gliedmaßen ist es notwendig, dass zuerst die Bedingungen für die Verschiebung des Körperschwerpunktes geschaffen werden. Dies kann im Gravitationsfeld nur durch seine Verschiebung außerhalb der Stützbasis oder Stützpunkte geschehen. Zu dieser Verschiebung nach außen dienen den Säugetieren Gliedmaßen, und zwar meistens alle vier. Bei Menschenaffen werden selten nur zwei Gliedmaßen verwendet.
Die biomechanische Konstruktion des menschlichen Körpers, die aufrechtes Gehen auf zwei Gliedmaßen ermöglicht, ist ein Modell des anspruchsvollsten aller bisher bekannten Lokomotionstypen. Das Gehen auf zwei Gliedmaßen ist aus einer ganzen Reihe von Gründen vorteilhaft. Ökonomisch betrachtet ist es jedoch am günstigsten, weil es die kinetische Energie der Schwingung ders schreitenden unteren Extremität sowie die Schwingung der „virtuell“ schreitenden oberen Extremität zum „Ziehen“ des Körperschwerpunktes nach vorne nutzt. Man kann dadurch sehr einfach die Geschwindigkeit und die Bewegungsrichtung verändern. Es ermöglicht die Bewegung auf verschiedensten Geländetypen, einschl. der Bewältigung von Veränderungen der Geländeneigung. Aufrechtes Gehen verbessert auch die Bedingungen für die optische und akustische Orientierung.
Auf der anderen Seite bringt das aufrechte Gehen eine Reihe von Nachteilen und Komplikationen mit sich. Es schafft schwierigere Bedingungen für die Hydrodynamik des Blut- und lymphatischen Kreislaufes; für den Rückfluss von venösem Blut und Lymphe aus den unteren Gliedmaßen mussten Hilfsgefäßklappen entwickelt werden. Bei ihrer Insuffizienz leiden die akralen Teile der Beine unter Schwellungen. Die Traggelenke der unteren Gliedmaßen sind einer extremen Belastung ausgesetzt, die sich auf die relativ kleinen Flächen der Gelenkknorpel von Hüft-, Knie- und Sprungbeingelenken überträgt. Diese Belastung führt zu einer Reihe pathologischer Veränderungen mit Folgen für die Biomechanik des Gehens und der Körperhaltung.
Die Länge der langen, für eine ausreichende Schrittlänge und wirtschaftliche Lokomotion notwendigen Knochen macht diese für Frakturen anfällig. Auch für die Lendenwirbel ist die vertikale Beckenstellung sehr belastend, und ihre Überlastung ist oft die Ursache für Wirbelsäulenprobleme.
Die unteren Gliedmaßen sind mit den größten und ihren energetischen Anforderungen nach anspruchsvollsten Muskelpartien ausgestattet. Die Nervenversorgung der großen Muskelpartien erfordert starke Nervenfasern und breit verzweigte Geflechte, deren Schädigung oft Ursache von Lokomotionsstörungen ist.
Die komplizierten Kniegelenke sind anfällig für Schäden an ihren weichen und festen Strukturen. Etwas widerstandsfähiger sind die Sprunggelenke. Die Hüftgelenke hingegen neigen zu degenerativen Veränderungen.
Hinsichtlich der Bewegungssteuerung ist aufrechtes Gehen anstrengend und weist deutliche Zeichen von Fragilität auf. Fehlerfreies Gehen erfordert das Zusammenspiel einer ganzen Reihe von Komponenten. Eine davon ist die Körperhaltungsautomatik, die beim Stehen unter physiologischen Bedingungen folgendermaßen charakterisiert werden kann: Die frontale Körperachse verläuft in der idealen Mittellinie, genauso wie die sagittale Achse in der Seitenansicht durch den Punkt des äußeren Ohrganges, die Mitte des Schultergelenks, die Mitte des Hüft- und Kniegelenks und die Mitte der Ferse verläuft.
Eine weitere Bedingung des normalen Gehens sind ausgefeilte Aufrichtungs- und Gleichgewichtsreflexe. Eine wichtige Voraussetzung im Verlauf des ersten Jahres ist ein richtig angelaufener Stereotyp des Gangautomatismus.
Das Gehen gehört, genau wie die automatische Körperhaltung, zu den Mechanismen, die völlig automatisch von unbewussten ZNS-Strukturen gesteuert werden, wobei die Möglichkeit ihrer bewussten Beeinflussung eher illusorisch ist. Die bewusste Steuerung des Gehens und unserer Körperhaltung ist praktisch nur im zweistelligen Sekundenbereich möglich, dann „schalten“ wir wieder auf unsere unbewusste Steuerungsautomatik um.
Animation – Umdrehen
Animation – Brückenschema
Gerade Störungen der Steuerung der Körperhaltungsautomatik und des automatischen Schrittmechanismus tragen die Schuld für den überwiegenden Teil der Funktionsstörungen des Bewegungsapparates. Es zeigt sich, dass das Bestreben, den Bewegungsapparat durch Kraftübungen zu stärken, die auf dem Konzept der 2D-Anatomie beruhen, nicht die erwartete Wirkung bringt und meistens die gesamte Situation noch verschlimmert. Oft vergrößert und vertieft sich die bestehende muskuläre Dysbalance, wodurch sich die Bedingungen für das Funktionieren der bereits gestörten Stereotype noch verschlechtern. Ergebnis sind partiell gestärkte Muskelgruppen, was aber im Rahmen der Bewegungsstereotype und der Steuerung der Körperhaltungsautomatik eher hindert als nützt.
Als Beispiel kann der Vergleichsversuch des Lasttragens dienen, wo eine Gruppe gut ausgebildete und trainierte Soldaten der amerikanischen Marine und die andere Sherpas aus Nepal und Frauen aus der Sahara in Afrika bildeten. Die Gruppe der Soldaten trug eine Last von fünfzig Kilogramm in speziell für Pioniertruppen genähten Rucksäcken. Die zweite Gruppe trug die gleiche Last in Ranzen, die von einem über die Stirn oder den oberen Teil des Brustkorbs führenden Gurt gehalten wurden, wobei fast alle von ihnen nur einfache Sandalen trugen. Diese zweite Gruppe hatte kein Krafttraining in Fitness-Zentren hinter sich und die Muskelausstattung ihrer Mitglieder war eher durchschnittlich. Das Ergebnis war, dass nach dem ersten Tag eine Reihe von Soldaten aus der ersten Gruppe am Ende ihrer physischen Kräfte war, wobei die Mitglieder der zweiten Gruppe noch das Essen für den zweiten Marschtag zubereiteten, wie sie es gewohnt waren. Nach dem zweiten oder dritten Tag beendeten die meisten amerikanischen Soldaten wegen totaler Erschöpfung den Marsch. Von der zweiten Gruppe kamen alle ohne übermäßige Anzeichen von Erschöpfung ans Ziel. Die Auswertung der kinematischen Aufzeichnung der Gangart der Soldaten ergab, dass die Art und Weise, wie sie mit der Last gehen, sehr ineffektiv ist, und dass die Last sie deutlich bremst. Umgekehrt zeigten die Ergebnisse der kinematischen Analyse der Gangart der Sherpas und der afrikanischen Frauen, dass ihnen die getragene Last mit ihrer kinetischen Energie beim Gehen hilft.
Biomechanische Konstruktion des Bewegungsapparates
Entstehung und Verlauf der Bewegung
Analysieren wir die Bewegungsmuster, dank derer sich der Mensch von der Stelle bewegen kann, und gezielte Bewegungen, z. B. das Greifen, kommt sehr schnell die folgende Frage auf: Wann können wir eigentlich von Fortbewegung sprechen? Die Antwort lautet: wenn der Körper imstande ist, mithilfe seiner Motorik von Punkt A nach Punkt B zu gelangen. Zwischen den Punkten A und B liegt ein Weg, der bewältigt werden muss.
In der Regel denkt der Mensch bei einer Fortbewegung ans Gehen, Laufen, Krabbeln oder Springen auf zwei oder vier Gliedmaßen. Der Beobachter registriert dabei vor allem große und schnelle Bewegungen. Die sind jedoch nur ein gut sichtbares Ergebnis, aber keineswegs die Substanz der Bewegung.
Bei Analyse des Gehmechanismus kommt es am Schrittanfang zu einer ganz winzigen Bewegung im Bereich der Wirbelsäule, die eine Verlagerung des Körperschwerpunktes und die darauf folgende Veränderung in der entsprechenden Haltung ermöglicht. Diese Bewegung der Wirbelsäule besteht aus vielen Einzelbewegungen der Wirbel. Diese Bewegungen sind sehr klein, langsam und leicht zu übersehen. So gesehen, stellen bereits diese kleinen und winzigen Schiebe- und Drehbewegungen der Wirbelsäule eine Fortbewegung dar, da die Wirbel bei diesen winzigen dreidimensionalen Bewegungen einen gewissen „Weg“ zurücklegen bzw. einer Trajektorie folgen.
Animation – Vereinfachte Biomechanik des menschlichen Körpers
Bewegungen einzelner Wirbel untereinander stehen in direkter veränderlicher Beziehung und sind abhängig von der Bewegung der Gliedmaßen, da erst die freie Bewegung der Wirbelsäule die volle Bewegung der Schulter- und Hüftgelenke ermöglicht.
Die Bewegung beginnt entwicklungsmäßig mit Bewegungen, die bei einem dreimonatigen, auf dem Rücken liegenden Kind zwischen dem Beckengeflecht und dem Brustkorb erfolgen.